Was Kinder stärkt und wie wir sie dabei unterstützen können

Viele Eltern möchten ihrem Kind einen guten Rahmen bieten,damit es gesund groß werden kann und für sein späteres Leben gut gerüstet ist. Was könnten Eltern tun, damit ihre Erziehung ermutigend wirkt?

Alltägliche Herausforderungen

Wenn wir den Lebensalltag von Mädchen und Jungen genauer betrachten, dann sehen wir – nicht nur früher, sondern auch heute – dass sich Kinder im Laufe ihrer Entwicklung mit sehr verschiedenen Einflüssen auseinandersetzen müssen. Sie erleben vielfältige Anforderungen, Anregungen und auch Zumutungen im Alltag. Viele Eltern möchten ihr Kind schützen, ihm einen guten Rahmen bieten und es vor schwierigen Belastungen bewahren, damit es gesund groß werden kann und für sein späteres Leben gut gerüstet ist. Die Eltern wissen natürlich auch, dass diese „Rundum-Fürsorge“ nicht möglich ist; die Sorgen sind trotzdem da.

Was könnten Eltern tun, damit ihre Erziehung ermutigend wirkt? Was können andere Erwachsene aus dem Umfeld (Familie, Nachbarschaft, Kindergarten, Schule, Freizeit- und Spielgruppen, usw.) dazu beitragen? Wie gelingt es, Trennung, Verlust, Krankheit, Natur­katastrophen und andere Formen der Stressbelastungen so zu bewältigen, dass Kinder nicht mutlos werden und zuversichtlich bleiben können? Wie ist zu erklären, dass eine relativ große Zahl von Kindern sich nachweislich positiv, stabil oder zumindest unauffällig entwickelt, obwohl sie unter schwierigen Bedingungen aufwachsen? Was macht Kinder widerstandsfähig, das heißt 'resilient'?

Blickwechsel

Seit den 1990er Jahren wurde in den wissenschaftlichen Konzepten der Psychologie, Päda­gogik und Gesundheitswissenschaften ein Wechsel vollzogen mit Blick auf die Fähig­keiten von Menschen, die ihnen zum gelingenden Bewältigen einer schwierigen Lebenssituation verhelfen können. Dabei wurde nicht nur auf die Ursachen und Bedingun­gen gesehen, die Störungen und Verhaltensauffälligkeiten begünstigen (sogenannte Risikofaktoren), sondern es wird versucht, Schutzfaktoren zu beschreiben, die maßgeblich die körperliche und seeli­sche Gesundheit fördern können. Das entwicklungs­psychologische Konzept der Resilienz ist in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt und beschreibt die psychische Wider­standsfähigkeit gegenüber Belastungen, die sich als großes Entwicklungsrisiko auswirken können.

Was ist unter Resilienz zu verstehen?

Resilienz leitet sich vom englischen Wort „resilience“ ab und bedeutet „Spannkraft, Wider­standsfähigkeit, Elastizität. Resilienz bezeichnet die psychische Widerstands­fähig­keit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwick­lungs­risiken“ und umschreibt allgemein die Fähigkeit, „sich von einer schwierigen Lebens­situation nicht unterkriegen zu lassen“ bzw. „nicht daran zu zerbrechen“. (Wustmann 2007; 18). So kommen Kinder immer wieder in Situationen, die für sie einen Einschnitt in ihr gewohntes Leben bedeuten und ein Risiko darstellen können: durch Umzug der Familie verliert ein Kind sein gewohntes Umfeld, Kinder „verlieren“ durch Scheidung der Eltern oder durch Tod eine Elternperson, das geliebte Haustier stirbt, ein Kind oder ein Familien­mitglied wird schwer krank; andere erleben die Arbeitslosigkeit der Eltern und ihre Existenz­sorgen als bedrohlich und manche Kinder erfahren körperliche oder seelische Gewalt.

Forschungsergebnisse in Langzeitstudien zeigen, dass Kinder diese Krisen wohlbehalten überstehen und daraus eine eigene Resilienz entwickeln, die sie vor weiteren Einbrüchen schützen kann. Resilienz ist dabei kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, sondern entwickelt sich aus den Erfahrungen, dass einem jemand wohlgesonnen ist und einem in schwierigen Zeiten an der Seite steht. Kindern entwickeln daraus Schutzfaktoren, die in ihrer Persönlichkeit und/ oder ihrer Umwelt verankert sind. Resilienz umfasst damit „nicht nur die Abwesenheit psychischer Störungen, sondern den Erwerb alters­angemesse­ner Fähigkeiten (Kompetenzen) vor dem Hintergrund der normalen kindlichen Entwick­lung durch die Bewältigung der anstehenden Entwicklungsaufgaben trotz aversiver Umstände.“ (Petermann u. a. 2004; 344).

Was schützt Kinder?

In der Forschung konnte eine Reihe protektiver (schützender) Faktoren – im Kind und in seiner Lebensumwelt – bestimmt werden.

Als interne Schutzfaktoren (im Kind) werden beschrieben:

  1. Selbstwahrnehmung: Das Kind kann sich selbst gut einschätzen und weiß, was es kann und wer es ist. Es verarbeitet die Informationen und die Anforderungen so, dass es sich nicht hilflos fühlen muss.
  2. Problemlösefähigkeiten: Kinder haben Vorstellungen und Erfahrungen, wie sie auftretende Probleme lösen können. Sie können sowohl gedanklich wie auch mit ihren Ideen eine Strategie entwickeln, was sie tun können, um aus einer schwierigen Lage herauszukommen.
  3. Selbstwirksamkeit: Das Kind hat die Erfahrung gemacht, dass es einer schwierigen Situation nicht ausgeliefert ist, sondern handlungsfähig bleibt und die Lage beeinflussen kann. Dabei hat es bereits die Erfahrung gemacht, nicht hilflos zu sein und ist optimistisch, die neuen Anforderungen gut anpacken zu können.
  4. Selbstregulation (Selbststeuerung): Das Kind kann seine Gefühle steuern und sich in schwierigen Situationen selbst soweit beruhigen oder ermutigen, dass es handlungsfähig bleiben kann.
  5. Soziale Kompetenzen: Das Kind kennt Personen, die ihm zugewandt sind und die es um Hilfe bitten kann, damit es sich nicht allein gelassen fühlt. Bei Konflikten bemüht es sich, einen Kompromiss zu finden und sozial verträglich zu bleiben.
  6. Stressbewältigung: Auch wenn es wirklich anstrengend ist und das Kind sich sehr belastet fühlt, dann bemüht es sich, einen Weg zu finden und gibt nicht auf. Seine optimistische Lebenseinstellung hilft ihm dabei.

Als externe Schutzfaktoren in der Lebensumwelt des Kindes gelten:

  1. sichere Bindungserfahrungen zu mindestens einer Bezugsperson: Kinder, die sich auf eine Person in ihrem näheren Umfeld sicher und stabil verlassen können und zu ihr eine vertrauensvolle Beziehung entwickeln, fühlen sich bei belastenden Ereignissen aufgehoben und geschützt. Diese Person gibt Halt und Orientierung, lässt aber auch eigene Wünsche und Vorstellungen des Kindes gelten.
  2. Gute Bewältigungsfähigkeiten der Eltern in schwierigen Situationen: Wenn Eltern selbst eine positive Lebenseinstellung haben und Krisenzeiten als Aufgaben verstehen, die sie bewältigen können, dann vermitteln sie dem Kind, dass es sich aufgehoben fühlen kann und sie gemeinsam es packen werden.
  3. Ein wertschätzendes und zugewandtes Erziehungsklima im Elternhaus und/ oder in den Bildungseinrichtungen (Kindergarten, Schule): Ein autoritativer Erziehungs­stil der Eltern (= dem Kind etwas zutrauen, ihm Hilfe geben, wenn die Aufgabe groß ist) hat sich als besonders resilienzförderlich gezeigt. Kinder aus Familien, deren Erziehungskraft schwankt, können im Kindergarten/in der Schule „ein zweites Zuhause“ finden und dort diese Erfahrungen als hilfreich und entwicklungs­förderlich erleben.
  4. Soziale Zugehörigkeit, dosierte Verantwortlichkeit und individuell angemessene Leistungsanforderungen: Kinder erleben sich als selbstwirksam und stark, wenn sie sich zu einer Gruppe (Familie, andere Kinder) zugehörig fühlen können und sie für die Gemeinschaft verantwortungsvoll in Aufgaben einbezogen werden. Diese Erfahrung stärkt ihre individuellen internen Schutzfaktoren.

Kein Mensch ist immer gleich fähig, schwierige und belastende Ereignisse zu verarbeiten. So gilt es, Kinder in ihren Erfahrungen zu unterstützen, dass sie ein Gefühl haben, es schaffen zu können und sich ihre Risiko- und Schutzfaktoren in der Balance halten.

Wie können Eltern ihre Kinder fördern?

Alle Eltern wollen, dass es jedem (ihrer) Kind(er) gutgeht und doch ist jedes Kind anders! Deshalb gibt es auch kein Patentrezept für eine gesunde Entwicklung. Folgende Aspekte können jedoch dazu beitragen:

1)     Die körperlichen Bedürfnisse und auf deren angemessene Befriedigung achten: Kinder brauchen die Möglichkeit, regelmäßig, ungestört und ausreichend zu schlafen. Sie brauchen eine abwechslungsreiche und gesunde Nahrung, ausreichend Platz und Zeit, um sich frei bewegen zu können.

2)     Kinder haben von Geburt an ein großes Bedürfnis nach körperlicher Nähe und Bindung: Sie wollen sich geborgen wissen, die Eltern erreichen können; sie  brauchen Verlässlichkeit und ein Gefühl der Zugehörigkeit und Zusammenhalt. Gewohnheiten, Rituale und gleichmäßige Tagesabläufe geben ihnen Sicherheit. Eltern, die für gemeinsame Mahlzeiten und Spielzeiten sorgen, sowie immer wieder­kehrende Abläufe beim Zubettgehen pflegen, geben ihrem Kind den entsprechenden Rückhalt.

3)     Das Kind beachten, wertschätzen und es lieben: Kinder möchten gesehen und geachtet werden, damit sie sich als Person empfinden und geliebt fühlen. Dafür tun sie einiges und manchmal fällt es den Eltern schwer, zu verstehen, weshalb ihr Kind sich nun gerade „in den Vordergrund“ spielt.

4)     Dem Kind Orientierung und Sicherheit geben: Gerade kleine Kinder brauchen in „ihrem Tag“ eine geordnete Regelmäßigkeit und Vorhersagbarkeit, was wann stattfinden wird. Daran orientieren sie sich und schauen auf die Eltern, ob sie berechenbar und in ihrem Verhalten einschätzbar sind.

5)     Die Welterkundungen des Kindes zulassen: Kinder wollen ihre Um-Welt kennen lernen und untersuchen; sie wollen wissen, wie etwas funktioniert und zusammen­hängt. Eltern können sie dabei unterstützen, indem sie ihrem Kind eine anregungs­reiche Umgebung (Wohnung, Garten, Spielplatz, Wald, Ausflüge, usw.) schaffen und es bei seinen Entdeckungen begleiten.

6)     Das Kind in seiner Selbstverwirklichung unterstützen: Selber – tun – mitmachen – machen, das sind die „Stationen“ der Autonomieentwicklung in jungen Jahren und wer kennt sie nicht: das Kind will alles „alleine“ machen und die Eltern meinen manchmal, es geht noch nicht gut (genug). Im Ausprobieren lernt das Kind seine eigenen Fähigkeiten und Stärken kennen und kann sich – gemäß seinen Bedürfnis­sen und dem eigenen Temperament – besser einschätzen.

Eltern sollten die Anforderungen an ihr Kind so stellen, dass das Kind sie bewältigen kann, indem sie einen Mittelweg zwischen Unter- und Überforderung wählen. Am besten finden sie das heraus, wenn sie dem Kind eine Aufgabe überlassen, es in den Alltag einbeziehen und ihre Hilfe geben, wenn das Kind sie einfordert. Dabei wird ein Kind immer auch spontan handeln. Haben die Eltern die Stärken und positiven Seiten ihres Kindes im Blick, tragen sie zu seiner Stärkung bei. Ein „Siehst du, du kannst es sowieso nicht!“ ist dabei fehl am Platz. Wirksam ist eine ermutigende und anregende Erziehungshaltung.

Wie können sich Eltern Unterstützung holen?

Wichtige Erfahrungen, die als Schutzfaktoren in der frühkindlichen Entwicklung wirken können, liegen darin, dass sich Eltern darin gestärkt sehen, ihr Kind „gut zu erziehen“. Im Alltag kommen den Eltern immer wieder Fragen, was gute Erziehung ausmacht, wie sie mit ihrem Kind den Alltag leben und gestalten und die vielfältigen Anforderungen unter einen Hut bringen können.

Sich in der eigenen Erziehungskompetenz zu stärken, das können Eltern am besten durch Gespräche mit anderen Eltern. Wenn diese Gespräche inhaltlich strukturiert und thema­tisch geordnet angeleitet werden, wie sie in einem Elternkurs[1] möglich sind, dann zeigen sich besonders gute Effekte und die Wirkungen sind nachweisbar. Eltern können dabei erfahren, dass eine kooperative, ermutigende, soziale und situationsorientierte Erziehungs­haltung die Entwicklung ihres Kindes nachhaltig unterstützt und ein angenehmes Familienklima entstehen kann, in dem auch schwierige und stressreiche Alltagssituationen gut zu meistern sind.

Eine Erweiterung und Ergänzung zur Unterstützung der familiären Erziehung können Eltern im Kindergarten sehen. Nach einer gelungenen Eingewöhnung in die Kindergruppe, bei der die Eltern ihr Kind in den ersten Tagen begleitet haben und sich das Kind an die Bezugserzieherin gewöhnen konnte, kann das Kind die Erfahrungen machen, dass es eigenständig eine schwierige Situation bewältigt hat. Nach kurzer Zeit entwickelt es ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe von anderen Kindern und findet eine „zweite Heimat“, in der es nun auf weitere Entdeckungen und Erkundungen der neuen Welt gehen kann. Fachleute sprechen von einer „zweiten Chance“, die große Auswirkungen auf das Selbst­bild des Kindes haben kann und ihm die Möglichkeit eröffnet, sich als kompetent, stark und bedeutsam zu erleben. Auch diese Erfahrungen tragen dazu bei, die Resilienzerfahrungen des Kindes zu erweitern und ihm zu vermitteln, dass es schwierige „Über­gangs“-Situationen bewältigen kann.

Abschließend ist festzuhalten:

Wenn auf mehreren Ebenen verschiedene Schutzfaktoren vorhanden sind, die helfen, Risiken und Belastungen aufzufangen und die gut zusammen­wirken, dann besteht die beste Aussicht, dass sich Kinder positiv entwickeln. So sind sie den Anforderungen des Alltags gewachsen, können flexibel auf Probleme und Anforderungen re-agieren und als Mensch sich ihrer selbst bewusst groß werden!

Literatur zum Weiterlesen:

  • Brooks, Robert & Sam Goldstein: Das Resilienz-Buch. Wie Eltern ihre Kinder fürs Leben stärken. Klett-Cotta Verlag Stuttgart 2007.
  • Fröhlich-Gildhoff, Klaus & Maike Rönnau-Böse: Resilienz. UTB Profile. Ernst Reinhardt Verlag München Basel 2009.
  • Jaede, Wolfgang: Kinder für die Krise stärken. Selbstvertrauen und Resilienz fördern. Herder spektrum. Herder Verlag Freiburg 2007.
  • Wustmann, Corina: Resilienz: Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. (2. Auflage). Cornelsen Scriptor Verlag Berlin 2007.

Anne Heck


[1]    Kess erziehen Ein Angebot der Arbeitsgemeinschaft für katholische Familienbildung e.V.